TOP 08.06.2003 - Tornadooutbreak auf dem Seerücken

Schon um 19 Uhr sah man von meinem Zimmer aus die Wolken der Gewitterlinie. Es war ein richtiges Wolkengebirge, das immer grösser wurde. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich mir aber noch, dass sich die Linie abschwächt oder nördlich vorbeizieht.

Als ich nach 20 Uhr nach draussen ging, sah man bereits, wie im Westen aus dieser Wolkenwand ein riesiger Cumulonimbus in die Höhe schoss und rundherum war der Strahlenkranz der untergehenden Sonne zu sehen. Ich sagte meinen Eltern, es könnte Hagel geben. Um 20:30 Uhr entschied ich mich alleine chasen zu gehen, da sich auf die Schnelle niemand fand, der mitkommen wollte. Ich musste noch rasch auftanken und los ging’s. Schon zu diesem Zeitpunkt war eine herrliche Abendstimmung zu sehen. Die Wolken waren fast schwarz und der Horizont dahinter schwefelgelb! Alles wurde in ein seltsames Licht getaucht und schon bald waren die ersten dumpfen Donnerschläge zu vernehmen. Ich war erstaunt, dass die Gewitterzelle so rasch näher kam. Auf dem Radar sah ich dann nachher, dass sie immer schneller geworden ist. Wahrscheinlich hatte sie schon zu diesem Zeitpunkt eine gewisse Eigendynamik entwickelt.

Ich fuhr auf dem Seerücken, wo ich mir einen guten Standort suchte, um das Gewitter zu beobachten. Die Stimmung war genial, als ich um 20:40 Uhr dort oben war. Die Sonne schien durch den Hagelschauer hindurch. Links und rechts davon wurden die Wolken von der untergehenden Sonne beleuchtet. Ich machte ein paar Fotos. Im Norden waren an der Vorderseite des Gewitters schöne Strukturen zu sehen. Der Inflow kam aus Süden und ging über mich drüber. Und im Westen etwa über Salen-Reutenen, wo der Seerücken über 700 m hoch ist, waren dichte Hagelfallstreifen zu sehen. Kurz danach kriegte ich ein SMS, wo stand, dass es in Berlingen gehagelt hat.

Hagelfallstreifen aufgenommen Richtung NW

Aufnahme der Fallstreifen Richtung W

Die Neubildung im Süden:

Dann ist irgendetwas passiert! Es war kurz von 20:45 Uhr. Das Gewitter schien sich plötzlich abzuschwächen. Die Donnerschläge wurden seltener und der schwache Südwind, der vorhin noch blies, flaute ganz ab. Plötzlich war links und recht von mir Rotation erkennbar. Im Norden sah ich einen kleinen Funnel, der aus den inzwischen orangefarbenen Wolken hing. Im Süden hing die Wolkendecke etwas durch und darunter waren Wolkenfetzen erkennbar, die bereits leicht rotierten. Es schien eine Neubildung südlich von mir zu geben.

Rotierende, strukturierte Wolken im Norden

Neubildung im Südosten

Neubildung im Süden

In der Zwischenzeit kamen die Hagelfallstreifen langsam näher und waren vielleicht noch 1,5 km entfernt, als plötzlich NW-Wind einsetzte. Ich dachte, das ist bestimmt der Outflow. Doch der Wind wurde immer stärker und drehte auf Norden. Es begann zu pfeifen und das Auto wackelte schon bedrohlich hin und her, wurde kurz an der Seite etwas angehoben und gleich wieder abgesetzt. Der dreht dann über Ost nach Süd und schwächte sich wieder rasch ab. Er war nicht böig, sondern recht konstant. Ich war doch sehr verwundert und schaute nach oben. Dort war Rotation vorhanden, wie ich sie noch nie gesehen habe! Da die Wolken von der Sonne angeleuchtet wurden, wirkte das ganze noch plastischer. Ich hielt es für notwendig, einen anderen Standort zu suchen, auch weil sich das ganze nun im Osten abspielte und mir dort ein Waldstück die Sicht versperrte. Ich fuhr etwa 1 km nach Westen, wo ich an der höchsten Stelle anhielt, um mir ein Bild über die Situation zu machen. Zwischen der Gewitterzelle im Norden und der Neubildung im Süden bildete sich eine Wolkenbrücke. Es handelte sich um eine rasche Neubildung. Ich sah wie rotierende Wolkenfetzen in die Wolkenbasis aufstiegen. Plötzlich bildete sich ein grösserer Funnel. Es war 20:53 Uhr. Zuerst war er trichterförmig und wurde dann oben immer dünner, während die Rotation immer stärker wurde. Schliesslich war er stabförmig und man sah, wie die Bäume in der Nähe (ca. 800 m entfernt) ganz schön durchgebogen wurden. Deswegen würde ich sagen ist die Bezeichnung Tornado gerechtfertigt, auch wenn der Funnel nicht weit herunter auskondensiert war. Der Tornado bildete sich etwa 1 km südlich von dem Standort, wo ich mich zuvor befand. Er war bis 20:56 Uhr sichtbar und löste sich dann auf. Der Funnel sah übrigens genauso aus, wie jener am Tag zuvor über dem Bodanrück, nur war dieser grösser und langlebiger. Ausserdem sah mein Bruder fast zur selben Zeit über dem Untersee eine Wasserhose, die bis auf halber Höhe auskondensiert war! Unglaublich!

Der Funnel entsteht hinter dem Dorf. Die Distanz zum Funnel beträgt ca. 2 km.

Die Funnelcloud wird grösser. Am Boden sieht man wie die Bäume in der Nähe des Tornados ziemlich durchgebogen werden.

Das Ganze mit Digitalzoom

Videosnapshots

3 Minuten später ist der Spuk vorbei.


 

Ich entschied mich nun noch nach Salen-Reutenen zu fahren. Es waren noch weitere kleinere Funnels zu sehen. Dort oben gab es Kondensationsnebel und kleinere Bäche überquerten die Strasse. Ich fuhr wieder hinunter nach Homburg, wo ich dann sah, dass sich über dem Ottenberg (686m) eine kräftige Gewitterzelle gebildet hat. Es war jetzt etwa 21:05 Uhr. Sie wurde von der Sonne beleuchtet und sah atemberaubend aus. Orangefarbene Hagelfallstreifen hingen aus dem Cumulonimbus und es blitzte im Sekundentakt seitlich aus der Zelle heraus. Die Zelle hatte aber eine seltsame Form. So eine Gewitterzelle habe ich noch nie gesehen! Ich hatte aber nicht mehr viel Platz auf meiner Kamera und machte deshalb kein Foto, denn im Osten braute sich etwas zusammen. Ich sah, wie rotierende Wolkenfetzen in die Basis aufstiegen und mein Verdacht wurde gleich bestätigt. Ich fuhr nach Raperswilen, wo ich das Unglaubliche sah! Es war nun etwa 21:10 Uhr. Unterhalb der Basis hingen mehrere Funnels hinab, davon 2 bis zum Boden! Und es wurden immer mehr! Es bildete sich eine richtige Tornadofamilie. Bald waren es 4 Stück und sicher noch mal so viele Funnels. Also entschied ich mich Marco K. von Skywarn (war aber nicht erreichbar) und Willi anzurufen, um eine Warnung auszugeben. Während ich mit Willi telefonierte, bildete sich links vom dem Tornadohaufen noch ein weiterer wesentlich grösserer Tornado, der Bodenmaterial aufwirbelte. Das war etwa um 21:16 Uhr. Danach entstand dort, wo zuvor die Tornados zu sehen waren eine sehr ausgeprägte Wallcloud, die bis zum Boden ging. Da es langsam dunkel wurde und ich keine Fotos mehr machen konnte, fuhr ich dann wieder nach Hause. Über dem See waren noch einige sehr schöne Blitze zu sehen.

Hier sieht man, wie sich die ersten beiden Tornados bilden. Ohne Zoom ist das leider schlecht erkennbar.

Einige Minuten später sind es schon 4 Stück. Links sieht man wie die Wolkenbasis hinunterhängt. Dort bildet sich später der optisch grösste Tornado.

Mit Digitalzoom

Mit 4-fach Digitalzoom auf ca. 6 km Distanz sind die schmalen Wolkenrüssel immerhin zu erahnen:

Fazit

Das war mit Abstand das beste Chasing, das ich bisher gemacht habe! Ich denke, dass sich entlang Konvergenzlinie, als sie über den Seerücken gezogen ist, das Windprofil so modifiziert wurde, dass in den untersten Schichten kräftige Scherung verursacht wurde und die Konvergenz und Hebung durch die Orographie weiter verstärkt wurde. Die Höhenwinde waren eher schwach, also können es keine Superzellen gewesen sein. Da die Tromben nebeneinander auftraten und recht schwach waren würde ich in der Zwischenzeit von "multiple landspouts" ausgehen.

Schadenanalyse

Die Schäden lagen deuteten auf maximal F1/T2 hin und weisen immer dieselbe Charakteristik auf. Stammbrüche treten nur ab und zu auf, Sturmwurf ist recht selten und vor allem bei kranken Bäumen und einzelnen Flachwurzlern zu beobachten. Druckschäden sind hingegen recht häufig. Sie treten v. a. bei jungen Laubbäumen und Jungtrieben auf, aber auch ältere Exemplare zeigen manchmal diese Schadensform. Manchmal weisen aber auch Nadelhölzer diese Schäden auf. In der Regel sind diese Bäume gesund. Die Länge der Schneisen deutet auf eine langsame Zuggeschwindigkeit der Tromben hin (ca. 10 km/h).

Die Bäume liegen kreuz und quer. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um Tornadoschäden.

Schadenskarte

Durchgezogene rote Linie: F0 und F1-Schäden mit hoher Wahrscheinlichkeit durch einen Tornado verursacht:

Gepunktete rote Linie: F0-Schäden möglicherweise von einem Tornado verursacht:

Für Punkt 1 und 2 habe ich noch die Fallrichtung der Bäume eingezeichnet. Geografisch Nord ist oben. Vermutlich stammen die beiden Sturmschneisen vom selben Tornado.

Punkt 1

Punkt 2

Karte aus der Region mit Ortsnamen