21.08.2005 - Tornado und Wallcloud bei Pfyn TG
Am Sonntagabend habe ich mit meinem Bruder eine rotierende Wallcloud, welche über den Seerücken gezogen ist, verfolgt.
Kurz nach 18:10 Uhr beobachtete ich starke Wolkenbewegungen aus östlicher Richtung über dem Tägerwiler Wald. Aufsteigende Wolkenfetzen wurden in die Wolke eingedreht und an der Wolkenunterseite bildeten sich schlauchförmige Strukturen aus, die aber nur wenige Sekunden bestand hatten, aber auf hohe Dynamik innerhalb der Wolke hindeuteten. Ich vermutete dort eine kleine Mesozyklone. Auffällig war auch die tiefe Wolkenbasis in diesem Bereich, die vielleicht auf 650 m Höhe lag, also nur knapp über dem Waldboden. Um 18:15 fuhren wir los.
Unterhalb von Wäldi war eine Strasse auf 200 m Länge übersäht mit kleinen Ästen. Hier muss es bereits ziemlich gestürmt haben. Die Schäden lagen aber im F0-Bereich. Auf dem Seerücken sah man dann Richtung Westen eine sehr dunkle Wolkenwand, die fast bis ins Thurtal (400 m) hinunter reichte. Am Nordrand der Schauerzelle war eine kleine Wallcloud mit interessanten Strukturen sichtbar, allerdings bereits einige Kilometer entfernt.
Wir beschlossen noch etwas weiter Richtung Westen zu fahren und rasch einen möglichst guten Aussichtspunkt zu finden. Oberhalb von Homburg hielten wir um 18:30 Uhr an und beobachteten die rasch abziehende Schauerzelle im SW. Pfyn liegt ca. 6 km Luftlinie südwestlich von unseren Standort. Die Wallcloud war immer noch deutlich sichtbar und schien etwas breiter geworden zu sein. Auf der rechten Seiten der Wolke war interessante Dynamik sichtbar. Die Wolken bewegten sich zeitweise in gegenläufiger Richtung. Ausserdem könnte es sein, dass dort ein sich auflösender Funnel zu sehen war. Allerdings ist das schwierig zu beurteilen, da aus den Wäldern verbreitet Nebelfetzen aufstiegen. Auf der linken Seite der Wallcloud war kurzzeitig deutlich Rotation erkennbar, was auch mein Bruder bestätigte. Auf dem Video ist dies leider kaum erkennbar. Zeitpunkt der Beobachtung war zwischen 18:31 und 18:34 Uhr. Die Wallcloud zog dann rasch ab. Sie legte innert 20 min etwa 13 km zurück, was auf eine Zuggeschwindigkeit von ca. 40 km/h hindeutet.
Wallcloud über Pfyn, aufgenommen um 18:31 Uhr (Bild ist stark bearbeitet)
Video der Wallcloud in 8-facher Abspielgeschwindigkeit, aufgenommen zwischen 18:31 und 18:34 Uhr (17.6 MByte)
Kurz danach überquerte etwas weiter nördlich eine zweite Schauerzelle den Seerücken. Die Wolkenbasis sank wieder auf ca. 650 m ab. Es wurde rasch sehr dunkel und intensiver Regen setzte ein ohne Blitzentladung. Als die Schauerzelle abzog sah man, dass die Konvektion nicht sehr hochreichend war, wahrscheinlich nur wenige Kilometer.
Tiefe Wolkenuntergrenze über dem Seerücken
Abziehende zweite Schauerzelle
Bei Durchzug der Wallcloud drehte der leichte bis mässige Wind in Ermatingen aus West auf Nordost und flaute gleichzeitig ab. Nach etwa 30 min drehte er wieder zurück auf NNW und verstärkte sich wieder leicht. Auf dem Seerücken blies ein recht kräftiger Nordwind. Die Temperatur und v. a. der Taupunkt stieg leicht an. Ich gehe davon aus, dass eine Konvergenzzone den Schauer ausgelöst hat.
Augenzeugenbericht
Auszug aus dem Tagblatt: "Für Gemeindeammann Kurt Helg ist der Sturm ein Rätsel. Das Unwetter habe von Nordosten her eine Schneise durch Pfyn gezogen. «Ich wohne etwa 100 Meter von den beschädigten Gebäuden entfernt und habe nichts bemerkt», erzählt Helg. Einwohner berichten, dass die Wolken tief hingen und sich ein Wirbel bildete, der Dreck und Gegenstände mit sich zog."
Schäden
Der Gemeindeammann von Pfyn Kurt Helg schickte mir freundlicherweise noch eine Karte mit den eingezeichneten Schäden. Die schmale Schneise verläuft von ENE nach WSW. Zuerst wurden im Dorfzentrum nur sehr hohe Bäume geknickt oder entwurzelt. Er berichtet weiter: „Im Unterdorfbereich steigt das Gelände leicht zum Servitutsgebiet des Waffenplatzes an. Dort hat der Wind (selbst bei tiefliegenden Schuppen und Häusern verheerend gewütet. Mitten im Kreis ist ein Baugeschäft, dessen offene Lager (Regale) komplett abgeräumt wurden. Am Ende der Pfeilspitze kam es zu im Stamm abgedrehten Bäumen, und westlich des Schopfes zum Fällen einer ganzen Serie (alle Richtung SW). Schopf und Scheune von Landwirt Felix R. wurde dabei arg abgedeckt.“ Ein Eternitdach wurde teilweise wegrissen. Ziegel wurden zum Teil über mehrere Meter weggeweht und blieben in der Erde stecken. Die Schäden liegen also ganz klar im F1-Bereich (über 117 km/h). Ich würde aufgrund der Beschreibung sogar sagen, dass sie F1/T3 (150 km/h bis 180 km/h) auf der Fujita-/Torroskala erreicht haben. Wie sich später herausstellte hatte der Tornado bereits vorher Bodenkontakt im Gebiet "Hungerbüel". Der Tornado zog dann ziemlich geradlinig von ENE nach WSW in Richtung Pfyn. Die Schneisenlänge beträgt ca. 3 km. Der Tornadovortex muss also mehrere Minuten existiert haben, was auf einen Superzellentornado hindeutet.
Wegen der grossen Richtungsscherung in Bodennähe und des tiefen LCLs (Lifting Condensation Level) waren die Bedingungen für Tornados durchaus gegeben. Die Schäden sowie meine Beobachtungen (obwohl ich den eigentlichen Tornado nicht gesehen habe) deuten ebenfalls auf einen schwachen Tornado hin.
Auswertung der Radardaten
Die Vortexsignatur ist bereits um 18:05 Uhr deutlich zu erkennen. Sie befindet sich südwestlich von Konstanz und bewegt sich mit 38 km/h Richtung WSW. Vermutlich handelt es sich um eine kleine Mesozyklone. Die Azimutalscherung beträgt zu diesem Zeitpunkt 23.4 m/s (84 km/h). An der Südseite des Wirbels bewegen sich die Niederschlagsteilchen mit 1.1 m/s auf das Radar zu, während auf der Nordseite gefaltete Werte von 24.5 m/s (88 km/h) erreicht werden. Das Radar misst hier auf einer Höhe von ca. 2 km.
Der Wirbel schwächt sich in der Folge etwas ab, ist aber weiterhin deutlich zu erkennen. Um 18:30 verstärkt sich die Vortexsignatur nochmals, ist aber deutlich kleiner als zuvor. Das Radar misst hier noch auf einer Höhe von 1.5 km, was möglicherweise einen Einfluss darauf haben könnte. Der bodennahe Wirbel befindet sich zu diesem Zeitpunkt ziemlich genau über Pfyn. Aufgrund der Augenzeugenberichte, der Schäden und der Dopplerradardaten ist das Auftreten eines Tornados zu diesem Zeitpunkt sehr wahrscheinlich.
Danach schwächt sich die Vortexsignatur rasch ab. Es ist jedoch weiterhin eine Scherzone erkennbar.
Da die Mesozyklone längere Zeit bestand hatte und über dünn besiedeltes Gebiet gezogen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Tornado schon vorher zeitweise Bodenkontakt hatte. Die Bedingungen waren bis auf die geringe Labilitätsenergie optimal für die Entstehung von Tornados. Die Scherung war in den unteren Schichten sehr gross, das LCL lag tief (auf ca. 650 m bis 700 m) und in der unteren Schicht wurde feucht-warme Luft aus Nordosten advehiert, was Konvektion überhaupt erst möglich machte. Erstaunlich war, wie weit die Wallcloud nach unten reichte, lag doch die Wolkenuntergrenze fast bei 400 m. Offenbar kam es zu einem deutlichen Druckabfall unterhalb der Misozyklone, obwohl die Aufwindgeschwindigkeit aufgrund der niedrigen CAPE-Werte nicht besonders hoch sein konnte. Vermutlich handelte es sich bei dem Gewitter um eine Mini- oder "low topped"-Superzelle.
GIF-Animation der Dopplergeschwindigkeit zwischen 18:05 und 18:40 Uhr