24.03.2005 - Hagelunwetter verursacht grössere Überschwemmungen auf dem Seerücken

Chasingbericht

Das Gewitter über dem Seerücken war ein veritables Unwetter. Es hat ab 21:30 Uhr stark gehagelt und das über längere Zeit (ca. 20 min mit kurzen Unterbrüchen). Die Körner waren zwischen 0.5 cm und 1 cm gross. Es bildete sich lokal eine flächige Hageldecke mit ca. 5 cm Höhe, in Ansammlungen waren es 20 cm und mehr. Die Strassen waren vollkommen weiss vom Hagel, wo er nicht weggespült wurde. Obwohl ich im höchsten Bereich des Seerücken unterwegs war, wo es kein grosses Einzugsgebiet hat, bildeten sich braune Bäche, ja man muss fast sagen Flüsse aus. Einer davon war in Kürze so tief, dass ich mit dem Wagen gerade noch so durch kam, man spürte die reissende Strömung bereits am Steuer. Diese braunen Flüsse rissen auch Geröll mit, Steine mit gut 10 cm Durchmesser waren dabei. Einige Minuten später hätte ich mich da mit dem Auto nicht mehr durchgewagt. Das Gewitter wies eine für die Jahreszeit recht hohe Blitzaktivität auf. Zwischendurch blitzte es ca. 10 mal pro Minute. Nach 22 Uhr liess die Blitzaktivität nach. Es waren aber von Zeit zu Zeit tiefe, brummende Donnerschläge aus N zu hören, wahrscheinlich handelte es sich um positive Erdblitze.

Videosnapshot des Hagels, aufgenommen in der Nähe von Reutenen

Als ich auf den Seerücken fuhr war das Gewitter noch lokal eng begrenzt. Innerhalb von 200 m fand ein Übergang von keinem Niederschlag zu Starkregen statt. Dann verstärkte sich der Niederschlag kontinuierlich und es mischte sich zunehmend kleiner Hagel mit Korngrösse unter 1 cm darunter. Allerdings war dieser Hagel sehr dicht. Der Hagelschlag dauerte schätzungsweise 20 min mit einen kurzen Unterbruch dazwischen. Der Hagelschauer setzte nach 21:30 ein und hörte kurz vor 22:00 Uhr auf. Es gab zwei Phasen mit Hagel, dazwischen gab es eine kurzen Unterbruch mit Starkregen. Die erste Phase war stärker, zwischendurch fiel nur noch Hagel, während in der zweiten Phase der Niederschlag ein Hagel-Regengemisch war. Die Sicht wurde durch den Niederschlag und Hagelnebel so stark eingeschränkt, dass an Fahren nicht mehr zu denken war. Die Sicht betrug zeitweise weniger als 10 m. Der Hagelschauer ging lokal eng begrenzt nieder. Eine Hageldecke bildete sich nur auf dem Plateau mit ca. 700 m Höhe aus auf einer Fläche von schätzungsweise 2 x 2 km. Wirklich dick (einige cm) war die Hageldecke in einem 500 m breiten Streifen. Auch hier in Ermatingen sollen einige Hagelkörner im Niederschlag gewesen sein. In der Nacht fielen hier in Ermatingen insgesamt 38 mm. Auf dem Seerücken sind bis 7 Uhr morgens sogar 92 mm Niederschlag gefallen!

Die Bilder wurden ca. anderthalb Stunden nach dem Unwetter aufgenommen

Presseberichte

Bericht aus der Thurgauer Zeitung

Ich habe darauf noch mit Herrn Meier telefoniert, bei dem die KLIMA-Station der Meteoschweiz im Garten steht, da aus dem Artikel nicht klar hervorgeht, wo Messung gemacht wurde. Er sagte mir, dass die 92 mm bei ihnen am morgen früh abgelesen wurden. Zwischendurch hätten sie nicht abgelesen. Er meinte auch, dass das Gewitter etwa zwischen 21:15 und 21:30 Uhr eingesetzt habe. Da noch ein zweites kräftiges Niederschlagsgebiet mit starkem Regen den Seerücken nach 22:30 Uhr überquert hat, sind also innerhalb einer Stunde weniger als 92 mm gefallen, obschon der grösste Teil davon wahrscheinlich während des Hagelschlags gefallen ist.

Artikel aus dem Südkurier über das tödliche Unglück in Steisslingen

Beeindruckender Bericht über die Rettungsaktion der Feuerwehr Konstanz

Schäden

Am Karfreitag Nachmittag sah ich mir mit meinem Bruder die entstandenen Schäden an. Eindrücklich war v. a. wie eng begrenzt die Schäden auftraten. Die Feuerwehr war immer noch im Einsatz. Es wurden Sandsäcke verlegt und Keller ausgepumpt.

Hier führte eine Strasse durch. Man sieht, wie sich in der Wiese ein Bach gebildet hatte, der schliesslich in diese Pfütze mündete.



Die Pfütze schwappte über und das Wasser floss auf 30 bis 40 m Breite über die Strasse.



Die Strömung riss ziemlich tiefe Furchen in den Weg.



Dieser kleine Erdrutsch wurde vermutlich durch Unterspülung des Bachbetts ausgelöst.



Verantwortlich dafür war dieses kleine Bächlein, das über die Ufer trat.



Hier auf der höchsten Stelle des Seerückens war das Unwetter am stärksten. Ein Fluss von gut 40 m Breite floss hier über eine Strasse in dieses Feld.



Man sieht, dass sich das Wasser im Feld verschiedene Wege gesucht hat. Etwa 60 cm tief ist dieses neu entstandene Bachbett. Einige Strassen wurden gesperrt, da sie nicht mehr befahrbar sind.



Auf der Ebene auf 700 m haben sich mehrere grosse Pfützen gebildet. Örtlich waren an diesem Nachmittag im Schatten noch Hagelhaufen zu sehen.

Analyse

Ich habe mir den Fall noch etwas genauer angesehen und Interessantes festgestellt. Sehr wahrscheinlich wurden die Gewitter durch eine Nord-Süd verlaufende Konvergenzzone ausgelöst, da die Gewitter auf einer Linie entstanden. Die Zugrichtung der Gewitter war N und die Gewitterzellen bewegten sich mit geringer Geschwindigkeit. Weiter kann man erkennen, dass die Gewitter dieser Konvergenzlinie an Hügeln getriggert wurden. Die erste Zelle wird im Toggenburg (knapp 1000 m) ausgelöst, kurz darauf bilden sich Zellen im Hegau (700 bis 800 m) und danach entsteht eine kräftige Zelle über der Brunauer Höchi (770 m) NW-lich von Wil und eine kleine Zelle über dem Seerücken (gut 600 m). Um 21:00 Uhr hat sich ein Band mit Gewitterzellen und kräftigen Schauern entwickelt, welches sich sehr langsam in östliche Richtung verlagert. Nach 22:00 schwächten sich die Zellen rasch ab, während sich ihre Ostverlagerung beschleunigte. Die Zellen wurden outflowdominant und zerfielen, da nicht mehr genügend CAPE vorhanden war und lösten an der Ostseite des Komplexes neue schwächere Schauer aus. Es bildete sich schliesslich ein ovales Niederschlagsgebiet aus, das vermutlich nur noch stratiformen Niederschlag brachte.

Gewitterzellen entstehen entlang einer Konvergenzlinie. Möglicherweise wurde diese durch Outflowboundaries zerfallender Zellen im Westen noch verstärkt.



Auf der Niederschlagskarte welche von der Firma MeteoRadar erstellt wurde, sieht man sehr gut das Nord-Süd verlaufende Band mit höheren Niederschlagsmengen. Weiter fällt auf, dass die ergiebigsten Niederschläge in Bereich der Hügel fielen.

Niederschlagskarten der Firma MeteoRadar berechnet aus Stations- und Radardaten

Die Karte stellt die Niederschlagsmenge zwischen 21:00 Uhr und 22:00 Uhr dar. Schön zu erkennen ist das Nord-Süd verlaufende Band mit hohen Niederschlagsmengen.



Hier kann man erkennen, dass die ergiebigsten Niederschläge über dem Rossberg fielen, der teilweise über 600 m hoch ist. An der SW-Seite liegt Steisslingen, wo das tragische Unglück geschah. Im SE liegt Stahringen, von wo auch grössere Schäden gemeldet wurden. Es kam zu grösseren Überschwemmungen und Erdrutschen. Es fällt weiter auf, dass in einem kleinen Gebiet sehr grosse Unterschiede der Regenmenge vorhanden sind.

Niederschlagsmenge zwischen 21 und 22 Uhr in der Umgebung von Steisslingen



Über dem Seerücken sind die stärksten NS im höchsten Abschnitt gefallen, der über 700 m hoch liegt. Es kam in erster Linie zu grösseren Überschwemmungen, allerdings nur in einem kleinen Gebiet. Örtlich gab es kleinere Ruschungen und Sackungen. Auch hier sind grosse Unterschiede der gefallenen Niederschlagsmenge auf engem Raum vorhanden.

Niederschlagssumme zwischen 21 und 22 Uhr in der Umgebung des Seerückens

Zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr fielen die grössten Niederschlagsmengen im Bereich des Überlingersees. Auch hier ist ein Zusammenhang zwischen Orographie und Niederschlag zu erkennen, allerdings weniger deutlich.

Niederschlagsmenge zwischen 22 und 23 Uhr in der Umgebung des Überlingersees

Fazit

Ich vermute, dass die Zellen durch Überlagerung von Konvergenz und orographischer Hebung ausgelöst wurden. Da die Konvergenzlinie quasi stationär war, wurden an denselben Stellen, wo orographische Hebung dazukam, immer wieder neue Zellen ausgelöst. Wegen der niedrigen Zuggeschwindigkeit konnten sich diese praktisch an Ort und Stelle ausregnen, was wahrscheinlich der Grund für die aussergewöhnlichen Regenmengen zu dieser Jahreszeit war. So lässt sich auch der länger andauernde Hagelschauer über dem Seerücken erklären. Neu entstandene Gewitterzellen verursachten in erster Linie den Hagel. Die Zellen schwächten sich daraufhin rasch wieder ab. Auch auf den Radarbildern ist das zu erkennen. Extremniederschlag trat v. a. in neu entstehenden Zellen auf.